Donnerstag, 11. März 2010

Chaiten: Abschluss der Carretera Austral am Fusse eines rauchenden Vulkans

Im Norden war die Carretera Austral im Vergleich zum Süden viel zivilisierter. Wir brauchten nicht mehr Essensreserven für mehrere Tage einzukaufen, sondern konnten fast täglich frische Produkte verzehren, da wir immer wieder in ein Dörfchen kamen.
Zum Glück, denn der Schotter riss kurz vor La Junta Marlis zu Boden. So konnten wir nach unserer Erstversorgung die Schürfung am Ellbogen professionell reinigen lassen und zusätzliches Verbandmaterial besorgen. Die nächsten Tage ging es etwas gemütlicher vorwärts, weil der Ellbogen noch schmerzte und auf Schotter nun vorsichtigeres Fahren angesagt war. Unterdessen ist die Wunde gut am verheilen und schmerzt praktisch nicht mehr.

Wir freuen uns, dass die nächsten Tage Teer angesagt ist. Denn beide hatten schon mehrmals erleichtert aufgeschnauft, wenn der befürchtete Schottersturz ausgeblieben war. Häufig hat es nämlich eine relativ gut zu befahrende Spur in Autoreifenbreite, an deren Rand die Schottersteine nur darauf warten, Velofahrer ins schleudern zu bringen. Auf diese Spur ist jedoch kein Verlass, weil sie entweder allmählich verschwindet oder plötzlich Unebenheiten à la Wellblech auftauchen. Beide stören den Fahrgenuss erheblich und erfordern volle Konzentration beim Fahren.
Hinzu kommt, dass wir bei langsamerem fahren wiederum von uns belagernden Riesenbremsen belästigt werden. Für das Erschlagen dieser Plagegeister wird eine Hand benötigt, so dass das Velo nur noch mit der anderen Hand kontrolliert werden kann...

An unserem letzten Tag Carretera Austral erlebten wir nochmals Regenwald bei Regen. Dies freute uns einerseits, weil die riesigen Farn- und Nalcablätter am Wegrand erst richtig in ihrem grün - ohne Staub der trockenen Strasse - zur Geltung kamen. Andererseits wurden wir nass, was durchaus unangenehm ist. Wir schätzen uns jedoch sehr glücklich, konnten wir die Carretera Austral nur mit zwei Regentagen bereisen. Wir wurden richtig verwöhnt. Der letzte Tag zeigte uns lediglich, wie es hätte sein können.

Von Chaiten hatten wir im voraus bereits unterschiedliches gehört: Wegen drohenden Vulkanausbruchs sei der Ort evakuiert und gesperrt hiess es einmal, später wurde uns gesagt, die Stadt funktioniere grösstenteils normal, sie sei nur durch den Ausbruch 2008 noch leicht beeinträchtigt. In unseren Reiseführern fanden wir nur in einem einen Hinweis, dass gemunkelt würde, Chaiten werde von der Regierung wegen zu grosser Gefahr nicht mehr aufgebaut.

Unterwegs nach Chaiten suchten wir erfolglos nach Anzeichen, welche auf die wahre Verwüstung durch den Vulkan hinweisen würden. Was wir bei Dorfeinfahrt antrafen erstaunte uns dann umso mehr: Von den früheren 5000 Einwohnern leben nur noch gerade 100 im Dorf; überall sind Schilder von Geschäften und Hotels, doch kaum eines der Häuser schien bewohnt zu sein; ganze Häuserreihen waren von den Fluten des durch den Vulkanausbruchs veränderten Flusslaufes zerstört und mit bis zu über einem Meter Asche eingedeckt worden; der Vulkan rauchte ganze Wolken in den Himmel. Wir fanden eines der drei noch offenen (und unzerstörten) Hostels, welches noch Platz für uns hatte.

Anfangs war es für uns sehr merkwürdig, uns in einer fast ausgestorbenen Stadt aufzuhalten, welche durch einen aktiven Vulkan bedroht wird.
Aufgrund des tragischen Bildes und der uns mehrheitlich unbekannten Geschichte dieses Dorfes wussten wir nicht, wie wir uns als Touristen gegenüber den Einheimischen verhalten sollten und welche Fragen angebracht waren. Wir merkten aber bald, dass die Leute gerne Auskunft geben und über ihre aktuelle Situation berichten.

Während unseres Aufenthalts vernahmen wir von Einheimischen, dass nach dem bisher einzigen Ausbruch 2008 die Regierung den Standort als zu gefährlich einstufte und die Bevölkerung beim Aufbau einer neuen Existenz in einem anderen Ort unterstützte. Gleichzeitig wurde darauf verzichtet, die Infrastruktur in Chaiten wieder aufzubauen. Diejenigen, die heute noch im Ort leben, müssen sich selber um Wasser und Strom kümmern, da eine öffentliche Versorgung fehlt. Regierungsgebäude, Polizei, Spital, Bank und Schulen stehen leer, trotzdem halbwegs eingerichtet und teilweise verwüstet im Dorf. Nur die Hauptstrasse(n) wurden teilweise wieder für den Transitverkehr hergerichtet.

Wir sahen zwar Leute, welche zum Beispiel öffentlichen Rasen mähten, wussten aber nicht, wer ihnen den Lohn bezahlen würde. Uns ist nicht klar geworden, wer für die wenigen vorhandenen öffentlichen Dienstleistungen (wie z.B. lokale Strassen, die Müllabfuhr, das Feuerwehrauto, die Wassertransporte zum Auffüllen der Tanks etc.) aufkommt, wenn die Regierung nichts mehr investiert. Wir staunten, wie die verbliebenen Leute ohne Hilfe der Regierung Chaiten wieder Leben einhauchen und Optimismus verbreiten.

Während der chilenischen Sommerferien im Januar und Februar ist in Chaiten doch noch etwas mehr los. Dann leben ca. 500 Leute im Dorf (wahrscheinlich in ihrem "Ferienhaus"). Daher wahrscheinlich auch die vielen Schilder, welche zumindest teilweise während des Hochsommers ihre Gültigkeit behalten dürften.

Unser Aufenthalt in Chaiten wurde spontan und unfreiwillig um einen ganzen Tag verlängert. Als wir am Dienstag die gebuchte Fähre nach Quellon auf der Insel Chiloe nehmen wollten, war keine da. Sie hatte wegen Motorproblemen mindestens einen Tag Verspätung. Wir schafften es also auch bei der dritten Fähre einen Tag mit Warten zu verbringen!

Nun sind wir aber in Quellon und gespannt, was wir auf der Insel Chiloe alles erleben werden (auch hier soll es immer regnen).

Herzliche Grüsse
Marlis & Matthias


4 Kommentare:

Alois-Erwin Kälin hat gesagt…

Ihr macht das gut, wie ich meine, zumindest das, wovon wir hören. Findet ihr auch immer jemanden, der euch fotografiert? - oder seid ihr so flink und präzise für die guten Aufnahmen, wo ihr Beide drauf seid? Und hinter den Blättern, das sieht ja aus, als würdet ihr euch verstecken, weil euch Kleider fehlen.

Der Vulkan wird schon nicht ausbrechen - und sonst ist es einfach Zeit dafür, was wissen wir schon.

Wir hatten gestern in und um St.Gallen über mehrere Stunden einen grossen Verkehrsschau wegen einer Massenkarambolage, und heute in Deutschland das zehnfache davon. Barbara und ich wollten an eine Uni-Vorlesung - und wir fuhren nach über einer Stunde langsamer Irrfahrt wieder nach Hause. Sonst ist uns nichts passiert ;-)

Euer Abenteuer und dieser Blog hat mich dazu bewogen, meinen Namen mit einem eigenen Blog zu verknüpfen, der mit dem Erdbeben in Chile begann und darüber hinaus bereits viel Stoff mit den Zeichen der Zeit enthält. Meine Reisen sind anderer Natur, sie sind auch abenteuerlich, und zwar so abenteuerlich, dass wenige mitkommen wollen...

Liebe Grüsse in die weite Ferne - und weit darüber hinaus!

Alois-Erwin Kälin

Ueli+Heidi hat gesagt…

Wenn wir euren Bericht über die Opfer fordernden Schotterpisten und Riesenbremsen lesen, klagen wir nicht mehr über die hier bislang herrschende Kältewelle. Letztere trägt hoffentlich dazu bei, dass wir im kommenden Sommer keine Normalbremsen-Invasion erleben...

Das angekündigte "berühmte" Paket hat den Weg nach Ostermundigen immer noch nicht gefunden.

Liebe Grüsse und weiterhin gute Fahrt!

Ueli+Heidi

Unknown hat gesagt…

... in Berlin ist immer noch Winter! - Wir wollen zurück auf die Carretera!!!

Solltet Ihr bei der Fortsetzung Euerer Tour allerdings ein noch schöneres Fleckchen Erde entdecken, tilt es uns bitte umgehend mit, wir fahren dann dort im nächsten Februar hin ...!

Liebe Grüße aus dem kalten Europa
Arno & Brigitte

Marlis & Matthias hat gesagt…

@Alois-Erwin: Wir fötelen uns jeweils selbst. Entweder mit ausgestrecktem Arm oder mit dem schon bald 3000 km mitgeschleppten Stativ, das wir bisher schon 2x (!) eingesetzt haben, weil ein Päckli nach Hause zu teuer ist...
Saubere Kleider sind manchmal wirklich knapp. Doch ziehen wir es vor zu stinken als uns mit Nalca-Blättern zu bedecken, was auf dem Velo ohnehin kompliziert werden dürfte.
@Ueli&Heidi: Kommt Zeit, kommt Päckli (hoffentlich). Eventuell senden wir auch mal unser Stativ nach Hause, wenn die Post zuverlässig funktioniert...
@Arno&Brigitte: Die Carretera ist wirklich ein schönes Fleckchen. Chiloé schafft es nicht, diese zu toppen. Nun kommen wir aber ins Seengebiet mit seinen Vulkanen. Dort soll es auch sehr schön sein.