Freitag, 12. Februar 2010

Villa O"Higgins: Kräfteraubende Wanderung an der argentinisch/chilenischen und unserer körperlichen Grenze

Es begann gut: Bei mehrheitlich schönem Wetter radelten wir von El Chalten auf einer Schotterpiste durch eine mit grünen Wäldern, Mooren, Bächen und Seen geschmükte Landschaft bis zum Lago del Desierto. Dazu wurden wir mit herrlichem Blick auf gewaltige Schneeberge, Gletscher und Wasserfälle verwöhnt.

Anschliessend ging es mit der Fähre über den Lago del Desierto, wo wir uns nochmals erholten, um die anspruchsvolle Etappe des nächsten Tages ausgeruht meistern zu können: Der Grenzübertritt nach Villa O'Higgins, Chile, war immer wieder Thema, wenn wir Toureros aus der Gegenrichtung trafen. Die einen verfluchten besagte Passage, andere warnten uns vor der bevorstehenden Herausforderung und gaben uns Tipps. Einer schwärmte - im Kontrast zu allen anderen - von der Abwechslung, die ihm dieser sumpfige Wanderweg geboten hatte...

Frohen Mutes starteten wir am nächsten Morgen, so dass es für die Fähre am (Montag)Abend nach Villa O'Higgins reichen sollte. Wie erwartet, war der Weg schwierig: Es ging steil bergauf, so dass wir die voll bepackten Velos nur zu zweit hoch schieben konnten. Später kamen sogar über den Weg liegende Baumstämme dazu, so dass wir die Velos zur Überwindung des Hindernisses ent- und wieder beladen mussten. Es wurde immer schwieriger, im Dickicht einen Weg auszumachen.

Allmählich begannen wir zu zweifeln, ob wir auf dem richtigen Weg waren. Klärung brachte die nochmalige Rückkehr zur Grenzwache, welche uns einen anderen als richtigen Weg zeigte. Bevor wir uns auf diesen begeben konnten, mussten wir jedoch unsere Velos oben aus dem Dickicht holen. Wir hatten sie vorsichtigerweise oben gelassen, weil wir den Weg nicht zweimal machen wollten. Unser Abstecher auf diesen Irrweg kostete uns drei Stunden Energie und die Fähre, welche wir kaum mehr schaffen würden. Die nächste sollte erst zwei Tage später und auch erst am Abend fahren.

Wir begannen nochmals von vorne, diesmal aber richtig. Die Hoffnung, dass dieser Weg besser als unsere eigene erste Variante sein könnte, zerschlug sich ziemlich rasch. Zwar hatten wir nicht mehr mit Dickickt zu kämpfen, dafür aber mit steilen Matschpassagen, welche unserer beider Kräfte brauchte, um ein bepacktes Velo nach oben zu bringen.

Nebst Sumpf, welcher die Velos nabentief aufsaugte, kamen immer auch wieder Flüsse dazwischen, welche unser ganzes Geschick und Kraft forderten. Meistens halfen uns einige morsche Baumstämme, fast trockenen Fusses das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Es wollte einfach nicht aufhören mit Hindernissen. Kaum war das eine gemeistert, wartete das nächste auf dessen Überwindung.

Endlich, nach 5 Stunden hatten wir die 6 km zurückgelegt und die Grenze zu Chile überquert (auf der Wanderkarte waren dafür 2 Stunden angegeben).

Gleichzeitig fanden wir nun einen besseren Weg vor, der fahrbar aussah. Wir waren jedoch so k.o., dass wir kurz nach der Grenze unser Zelt aufstellten. Die Fähre war sowieso schon lange abgefahren und die nächste erst am übernächsten Tag. Wir hatten also Zeit. Mit Waschlappen befreiten wir uns den vom Erlebten haften gebliebenen Dreck. Dieser war schnell weg und wir freuten uns auf unsere warmen Schlafsäcke.

Noch am Abend begann es zu regnen und es wollte einfach nicht mehr aufhören. So verbrachten wir am Folgetag unseren ersten ganzen Tag im Zelt und hofften, es möglichst wenig für "wichtige Geschäfte" verlassen zu müssen. Das zeitver(und harn-)treibende Mate trinken tat seines dazu bei, dass doch der eine oder andere Aufenthalt ausserhalb des Zeltes notwenig wurde. Inzwischen hatte es sogar begonnen leicht zu schneien. Wir hofften, am nächsten Tag ohne Schnee starten zu können.

Am nächsten Morgen mussten wir unsere Sachen jedoch unabhängig des Wetters packen. Es regnete und schneite immer noch leicht. Da wir uns einen ganzen Tag mit diesem Szenario auseinander gesetzt hatten, war dies kein Problem für uns. Die Strasse war schneefrei geblieben, so dass dem Weg zur chilenischen Grenzkontrolle und unserer Fähre keine bekannten Hindernisse mehr lagen.
 

Das sollte - bis auf die eine oder andere grosse Strassenpfütze - auch so bleiben. Zwei Stunden später hatten wir die Grenzkontrolle passiert und wollten uns einrichten, um auf die in ein paar Stunden fahrende Fähre zu warten.

Freundlicherweise wurden wir von Schicksalsgenossen, welche bereits die Montagsfähre nehmen wollten, informiert, dass die nächste Fähre frühestens am Donnerstag, also am nächsten Tag, fahren würde. Uns blieb nichts anderes übrig, unser Zelt nochmals aufzustellen und - zusammen mit 12 anderen Trekkern und Bikern - auf die nächste, hoffentlich bald fahrende Fähre zu warten.

Unseren Velos gönnten wir die bitter notwendige Reinigung, indem wir sie im See badeten. Auch die Bremsklötze wollten kontrolliert werden. Der schlammige Aufstieg hatte sie - erstaunlicherweise - so weit abgenützt, dass wir vor der Abfahrt nachziehen mussten.

Für uns tröstlich war, dass wir die Montagsfähre gar nicht verpasst hatten und unsere anfängliche Irrwanderung daher zwar kein einfaches, aber trotzdem lediglich ein zusätzliches Flittererlebnis ohne weitere Konsequenzen war. Auch stellen wir im Vergleich zu unserem Trek im Torres del Paine Nationalpark fest, das trekken ohne Velo bei weitem dem "Wandern mit Velo" vorzuziehen ist. Davon haben wir uns unterdessen sowieso wieder erholt und sind mit der erhofften Donnerstagfähre in Villa O'Higgins eingetroffen.

Nun sind wir gespannt, was die Carretera Austral zu bieten hat. Schliesslich befindet sie sich in chilenisch Patagonien, einer der regenreichsten Regionen der Welt...

Herzliche Grüsse
Marlis und Matthias

P.S: Die üble Wanderpassage hätten wir auch mit Unterstützung von Pferden hinter uns bringen können, die uns das Gepäck abgenommen hätten. Diese Hilfe beanspruchte jedoch ein verrückter Amerikaner, der mit seiner Motocross-Reisemaschine denselben Weg wie wir gewählt hatte. Seine 50 Pferdestärken starke Maschine wurde mit zwei richtigen Pferden verstärkt, so dass seine Maschine nicht im Sumpf stecken blieb.

4 Kommentare:

Älterer Herr hat gesagt…

Bom dia seus entes queridos analisou dois gravemente!
(Auto-Parlamente ;-)

Eure Ausdauer und Entschlossenheit sind beeindruckend! Ihr schreibt anschaulich und ausführlich, obwohl das, was ihr schildert, sicher wieder nur ein kleiner Teil eurer Erlebnisse darstellt. Es war fast allein nur schon ermüdend, zu lesen, wie ihr die schwer bepackten Fahrräder einzeln miteinander gestossen, entpackt und über die Hindernisse getragen habt und von Zweifeln geplagt waret, ob es der richtige Weg sei. Und wie ihr zurück gegangen seid, ohne Fahrräder, um nachzufragen, wieder hinauf und die Fahrräder zurücktragend über Sumpf und Äste, kurz ausruhend während der etwas freieren Abfahrt.

Meine Anfrage, ob ihr den Laptop bei euch habt, hat mir Matthias über eine etwas ausführliche Mail längst beantwortet, was sich aber hier im Blog nicht niedergeschlagen hat. Für die Auskunft möchte ich Matthias auch hier noch danken, auf dass es nicht scheint, als wären gewisse Fragen unbeantwortet geblieben.

Ich hoffe, dass es interessant für euch bleibt und sich alle Hindernisse kleiner sind als eure Lernwilligkeit und die Sammlung extremer Erlebnisse in schwierigen Situationen. Die werden sich später auszahlen, das wünsche ich euch!

A.-E. PP

Gabriel hat gesagt…

Hallo ihr Gebeutelten!

Da habt ihr ja schön gemerkt, worauf man sich bei Abenteuerferien eben einlässt. Obwohl - geteiltes Leid ist ja nur halbes Leid, d.h. es geht euch nur halb so schlimm wie geschrieben! ;)

Tja, ich wünsche euch ein bisschen mehr geniessbare Stunden auf der Tour und - wie Keitsch so oft schon sagte - bon courage weiterhin! Andererseits: Für uns sind es natürlich Leckerbissen, wenn ihr solcherlei Sachen zu erzählen habt, von daher wünsche ich euch weiterhin einige Herausforderungen, die ihr meistern mögt!

Gabriel

Margarita, Maylee, Peter hat gesagt…

Hola ustedes dos ciclistas de puro hierro!

Eure spannenden Reiseberichte und die faszinierenden Foetelis in wilder und unberuehrter Natur sind eine willkommene und tolle Abwechslung zu unserem Grossstadt-Leben hier in Santo Domingo.
Bei unserer gemeinsamen Teilnahme an der "Tour de sufrimiento" (www.ciclismo.com.do, mit Foetelis) ueber 3 Tage mit einem Kilometer-Total von 270km sowie ca. 7000 Hoehenmeter - aber ohne schwerwiegendes Gepaeck am Bike - haben Margarita und ich oefters an Euch beide gedacht...

Wir wuenschen Euch weiterhin spannende, verbindende und vielleicht ein bisschen weniger extreme Bike-Tage... Pa' lante los dos!!!

Un abrazo fuerte desde la Republica Dominicana

Margarita, Maylee y Peter

Alois-Erwin Kälin hat gesagt…

Schöne Fotos, romantische Gebilde! O, es wird einem richtig warm ums Herz, auch wenn Schlamm und Kälte von aussen eindringen wollen... Gerade darum aber liest man die Kraft der innern Wärme aus den Bildern heraus.

Jetzt verstehe ich, warum ihr trotz Müdigkeit und grossen Hindernissen weiter macht. So schnell macht euch das kein anderes Pärchen nach ... aber das soll nicht der Anreiz für euch sein, sonst fällt das Aufgebaute schnell in sich zusammen. Danket Gott!